Reiseblog

07.01.2018:
Ganz genau weiß ich es nicht mehr… aber ich finde die Idee, den ersten Gedanken an mein neues Projekt, in der Nacht zum Sonntag so gegen 02:37 gehabt zu haben, sehr reizvoll – also muss es wohlgenau so gewesen sein.

Doch wie nächtliche Ideen so sind – im ersten Moment denkst du, da hast du dir etwas weltveränderndes und revolutionäres ausgedacht und am nächsten Morgen kannst du dich kaum noch daran erinnern. Ich konnte mich zwar an den Inhalt grob erinnern, das weltverändernde Potential war aber nicht mehr ganz so eindeutig…

…trotzdem, direkt ne Mail geschrieben um das wenige, was von der Idee übrig war, noch als möglichen sanften Flügelschlag eines potentiellen Wirbelsturmes zu nutzen. Die Mail klang in etwa so: „Liebe Steff, lieber Christoph, ich würde gerne für meinen YouTube Kanal ein Video über das entstehen einer Hängematte machen, könnte ich mal bei euch im Laden vorbei kommen?“ Ich konnte!

19.01.2018
Hängemattenglück in Freiburg – Zähringen, 10 Minuten von meinem Zuhause entfernt, ich hatte aber noch nie davor davon gehört. Eigentlich merkwürdig, den die Location entspricht mal so ganz genau meinem Style… alte Lagerhalle, verschiedene Künstler untergebracht, die Verkaufsräume der Hängematten wird mit einem hippen Veganen Kaffe (Pausenraum) geteilt… und im Außenbereich gibt es schattige Sitzecken auf alten Paletten.
Bei leckerem veganem Mittagstisch war auch schnell klar – nicht das Nachbauen einer Hängematte reizt mich, sondern der Herstellungsprozess an sich. Welche Länder, Menschen, Schicksale haben ihre Finger im Spiel, um letztendlich eine fair gehandelte, GOTS zertifizierte Bio Hängematte in Freiburg kaufen zu können.
Mein erster Weg auf der Spurensuche sollte mich, dank Steff, welche sich selber in den Faschingsferien einen Überblick über die Produktion machen wollte, nach Indien führen. Wenn ich den rechtzeitig Reisepass und Visum erhalten würde.

09.02.2018
Der Anfang der Reise, das Ende einer meiner schlimmsten Nächte… anstatt zu sinken war das Fieber auf 38,8° gestiegen… hätte ich den Projekt still und heimlich und ohne Kostenverlust abblasen können, ich hätte es getan.
Da dies aber nicht möglich war, habe ich mir geschworen, zumindest mit dem Zug nach Frankfurt zu fahren – umdrehen kann man ja immer noch…
So habe ich mich und mein Gepäck bei leichtem Schneegefussel hat den Bahnhof geschleppt. Meine erste Aktion im Zug: das Abschließen einer Auslandskrankenversicherung… dann bin ich eingeschlafen und kurz vor Frankfurt mit deutlich weniger Fieber wieder aufgewacht. Kurz noch mit Aspirin Komplex eingedeckt und dann eingeckt… Chennai, wir kommen!
Beim Flug war ich genau drei mal wach… zum Essen… sonst einfach komplett geschlafen. Mein Fieber hat sich dafür aber wenig interessiert – kurz vor der Landung kratze es wieder an der 39° Marke, ein grauenvoller Zustand.
Und so sollte es bei der Ankunft weitergehen!
Für die Registrierung über eine Stunde anstehen… ich hatte Sorge die ziehen mich aus dem Verkehr, da ich so geglüht habe… ging aber alles gut!
Dann kam Steff mit der Message um die Ecke, dass unser Hotel gecancelt worden sei, da wir uns während des Fluges nicht zurück gemeldet hätten. okay.
Was also und Bleibe für die Nacht um 1:30 am Flughafen machen? Erstmal auf die Straße, wobei sich hier die Frage stellte, ob ich eigentlich Fieber hatte oder nicht gleich die ganze Stadt…
…dann möglichst selbstbewusst bei absoluter Ahnungslosigkeit in eine Richtung gehen, um den ganzen Taxifahrern nicht ins offene Messer zu laufen. Keine Chance! Direkt der erste hat natürlich den Zuschlag bekommen und uns überteuert zu einem „freien“ Hotel gebracht, für welches wir recht teure 2.000 Rupien für die (Rest)Nacht bezahlen sollten.
Angekommen, ausgestiegen, ausgeladen, schönes Zimmer angeschaut… und plötzlich war der Preis bei 3.600 Rupien…
Trotz Fieber und Müdigkeit und der Akzeptanz einer „Reichensteuer“ für westliche Touristen in ärmeren Ländern… ein bisschen Handeln musste schon sein. Am Ende haben wir 2.800 Rupien gezahlt, für das Zimmer mit Klimaanlage bis 12:00 mittags, Frühstück, W-Lan Zugang und zwei verschlossene Flaschen Wasser.
Damit konnte ich aus verhandlungstechnischer Sicht leben und weder Hotelier noch Taxifahrer haben ein schlechtes Geschäft gemacht…
Ich habe dann erstmal das gemacht, was ich derzeit am besten kann… geschlafen.

10.02.2018
Bis der Wecker um 11:00 indischer Zeit klingelte… ich glaube ich wurde selten aus einem tieferen, schwereren Schlaf gerissen als diesem. Ich war im Grunde weder fähig, meinen Körper zu drehen, noch meinen Arm oder Kopf zu haben – alles war gedämpft und schwer. Nachdem ich mir mühevoll das Fieberthermometer zwischen die Lippen geschoben und nach dem Piepen das Ergebnis angesehen hatte, war mir klar, warum. 36,8° Körpertemperatur – ein Verlust von 2 Grad in nichtmal 8 Stunden in einem auf 25° Raumtemperatur klimatisierten Hotel in Indien – was eine anstrengende Glanzleistung meines Körpers.
Aus dem Bett gerollt, unter die Dusche gestellt, angezogen – immer darauf bedacht, kein „nicht verschlossenes“ Wasser mit meinen Lippen in Berührung zu bringen. Auf einer Skala von „vom LKW überrollt“ bis „wie neu geboren“ fühlte ich mit dem Lastkraftwagen noch deutlich verbundener – das mühsam verhandelte indische Frühstück sollte Abhilfe schaffen.
Ein freundliches, indisches Lächeln wies aber darauf hin: Frühstück nur bis 10:00. Zwei freundliche deutsche Lächeln erwirkten immerhin zwei trockene Toastbrote und zwei Eierkuchen – welcome to India.
Auschecken verlief reibungslos – keine Nachzahlung für das „Frühstück“ oder das verlassen der Zimmer um fünf nach zwölf.
Beim Verlassen des Hotels brauste ein kleines Taxi durch die schmale Gasse, öffnete Türen und Kofferraum und hieß uns freundlich Willkommen. Da wir nun gelernt hatten und keine leichte Beute mehr sein wollten, lehnten wir dankend ab – doch der Fahrer rief immer wieder „Balla, Balla…“ der Name unseres Gastherren und Auroville – unser privater Chauffeure war also pünktlich vorgefahren – ich war beeindruckt!
In der ganzen Aufregung wollte ich es mir natürlich auf dem Beifahrerplatz bequem machen, was in Indien aber dem Fahrerplatz entspricht – das Gelächter war natürlich groß – doch irgendwann hatte ich den Platz meiner Bestimmung gefunden und gut klimatisiert ging es von Chennai nach Auroville. Doch lange ging es nicht bis zum ersten Schock. Mein Geldbeutel war weg, Inhalt: alles Geld, Reisepasse, Visum, Flugticket… dafür war jetzt Panik da… der Fahrer rief schon im Hotel an, als ich ihn plötzlich im Fussraum des Autos wieder fand!
War vorhin das Gelächter groß, gab es jetzt kein Halten mehr. Der Fahrer schrie vor Lachen, krümmte sich hinter Lenker und stellte die Klimaanlage Immer höher, weil er meinte mir würde der Schweiß vor Panik das Gesicht hinunter laufen. In dem Moment wusste ich: wir konnten Freunde werden!

Die restliche Fahrt war, wie man es in jedem Buch lesen und in jedem Film sehen kann. Tiere auf den Straßen, lebensmüde Überholmanöver, ständiges gehupe und aus Fenstern gespucke, mit Menschen und Tieren überfüllte Autos und Roller… fast zu klassisch um spannend zu sein, obwohl in Realität deutlich beeindruckender als in jedem Roman.

Wirklich beeindruckt haben mich die Bauwerke an den Straßen rechts und links, bzw. der Wandel der Stadt und Landschaft. Während ganz vorne noch die zusammengekleisterten Lehmhütten mit Strohdächern standen, wurde in Hintergrund riesige Wohn, bzw. Bürokomplexe hochgezogen. Zum Teil mit Kränen und moderner Technik, zum anderen Teil alles von Hand – alles! Das war wirklich Atemberaubend, ich habe mich so oft gefragt, wie eigentlich Städte entstehen und wachsen, hier konnte man es sehen. Jungs in Sandalen trugen Steine auf Köpfen über zusammengebundene Bambusleitern Etage um Etage nach oben, um Immer Höher zu bauen. Das hier nicht alles zusammenbrach, kam mir einem Wunder gleich, ebenso das es nicht ständig Unfälle auf den Straßen gab und uns das Taxi direkt und pünktlich abgefangen hatte – hinter all dem Chaos musste doch irgendwo ein großer, undurchdringlicher Plan hängen.
Unser Fahrer verriet uns den neuen Namen der endlos langen Straße mit den immer höher und größer werdenden Gebäuden: IT Road. Willkommen in der Digitalen Revolution! Nur ein kleiner Ausflug dazu: sie wird nicht kommen, sie ist bereits da! Sie wird die Welt mindestens so verändern, wie alle drei großen Revolutionen zuvor, sie kennt keine Grenzen von Ländern, sie kennt keine Gesetze von Ländern, sie kennt nur Daten, Bits und Bytes. Sie benötigt nur schnelle Leitungen und schenkt uns allumfassendes Wissen und weiß schon heute mehr über uns, als wir übermorgen gewusst haben werden – aber das ist ein anderes Thema.

Das aktuelle Thema war: Lunch Time. Zielsicher steuerte der Fahrer ein gute klimatisiertes aber wenigstens echt indisches und einheimisches Restaurant an (in Zukunft wird des kein Fahrer machen, der Google Algorithmus wird das übernehmen, dabei geht es wohl sekundär um unseren Geschmack, sondern primär über die erkaufte Platzierung in der vollautomatisierten Suche des Autos im Hintergrund…ich schweife ab).
Kaum hatten wir das Restaurant betreten, wurde wir freundlichen an einen Tisch geleitet und hingesetzt. Wir wussten kaum, wie uns geschah, nur ein war klar: der Fahrer war weg!
Ein Glück war Steff vor 10 Jahren schonmal in Indien, so das ich Immer „the same same“ bestellen konnte – was auch glückte – der Fahrer aber blieb verschwunden – bzw. es gab wohl Tische für die Fahrer, aber so genau hatten wir uns sein Gesicht gar nicht gemerkt. Irgendwann entdeckten wir ihn und uns war doch sehr unwohl, da er einfach mit einem Glas Wasser am Rand saß – doch was tun? Welches Fettnäpfchen ist größer?
Also: mutig voran, kurz zum Fahrertisch schlendern und freundlich Lächelnd fragen: „you think it would be possible to join our table and have the dish with us?“. Ein Lächeln, ein Kopfschütteln (was soviel wie ja heißt!) und wir hatten den Lehrmeister an unserem Tisch.
Er zeigte genau, was man mit was mischte, wie man perfekt mit Fingern ass, lachte sich kaputt, weil mir alles zu scharf war… ja, dass Essen war ein voller Erfolg und wir waren nur froh, ihn zu Tische gebeten zu haben.
So ging es aus dem klimatisierten Restaurant zurück ins klimatisierte Auto, jeder Meter Außentemperatur war ein kurzer Fieberschock. Satt ging es weiter nach Auroville – bisher ein unbekannter Ort mit neun Buchstaben. Irgendwann bogen wir von der Straße ab in eine Mischung aus Wüste und Dschungel. Der Boden bestand aus roter Erde oder Sand, die Umgebung aus saftig grünen Palmen, Bäumen und Sträuchern. Zum ersten Mal kam ich auf die Idee meine Kamera einzuschalten. Mir war es ein Rätsel, wie sich der Fahrer, dessen Namen Vira mir seit dem Essen bekannt war, hier zurecht fand. Jeder Pfad verzweigte sich ständig in weitere Pfade, wurde gekreuzt von Pfaden und endete ständig in irgendwelchen Sackgassen. Plötzlich wurde irgendwo ein Tor geöffnet und wir waren am Ziel.
Mitten Im Dschungel, fern ab von anderen Häusern stand eine kleine Lehmhütte mit Ziegeldach, drum herum drei Inder, die fleißig etwas machten.
Einer musste Balla sein, zumindest begrüßten Steff und er sich wie alte Bekannte und wir wurden in unser neues zuhause geführt. Ja, diese Hütte sollte allein unser zuhause für die nächsten verbleibenden acht Tage sein.

Mir wurde sofort alles „technische“ im Haus erklärt – überhaupt, bei den meisten Dingen unterhalten sich die Männer miteinander, bzw. bei allen anderen Dingen auch heißt es meist: Man First!
Direkt nach der Ankunft wurden wir noch zu einem Haus, etwa 500 Meter entfernt, geführt. Die direkte Nachbarin hieß Nadine, sie war in sehr betuchtem Alter, sehr freundlich und klärte uns fröhlich über die Tiere des Dschungels auf… Angst brauche man keine haben, an Schlangen gäbe es zwar Kobra, Viper und Boa – solange man sich aber nicht versehentlich drauf stelle, würden diese einem nichts tun – außerdem kämen die eigentlich nie ins Haus… beruhigend!

Abends wurde uns indisches Essen vorbei gebracht und ich musste versuchen, die Nacht im Geschrei des Dschungels zu überleben. Mir wurde vorab immer gesagt, Indien sei laut – dabei hatte ich aber eher an Hupen und Maschinen gedacht… aber der Lärm und das Geschrei des Dschungels – unglaublich… ich werde Tonaufnahmen machen und Beweise erbringen!
11.02
„Nikou, Niikouu…“ so in etwa müssen die Rufe vom verschlossenen Tor her geklungen haben – ich habe sie aber nicht gehört. Im Gegensatz zu Steff, welche in Nachthemd zum Tor eilen musste um unseren indischen Essensbringern die Türe zu öffnen und leckeren Chai zu kochen… ich habe einfach weiter gschlafen – ein Wunder für mich, da ich es gewohnt bin, bei jedem kleinen Mucks meiner Kinder oder Knarren der Treppe der Jugendlichen im Bett zu stehen und nach dem Rechten zu sehen… Ja, ich bin im „Urlaub“ angekommen!
Steff hatte die spontane Idee, einen Freund aus Kindertagen in Auroville zu besuchen – mir kam das ganz Recht, ich blieb in meinem Domizil, las etwas im „Weißen Tiger“ (Vielen Dank nochmal dafür, eine hervorragende Reisevorbereitung!!!), schrieb meinen Bericht, machte eine kurze Siesta und genoß mein indisches Mittagessen.
Später kam Steff mit Jörg und seiner Freundin vorbei, sie aßen die Reste, vertrieben eine Riesenspinne von der Toilette und dann machten wir uns spontan auf den Weg an den Strand… eine spannende Fahrt für mich, auf dem Roller, Linksverkehr, über Buckel und Hügel, durch Sand und Steine, dann kurz über die „schlimme“ Straße und dann auf an der ruhigen Strand. Es war traumhaft! Das Wasser war genau noch so „kalt“, dass es zumindest ein bisschen als „Abkühlung“ durch ging – wenn ich mir überlege, vor zwei Tagen noch mit hohem Fieber und vielen Zweifeln gekämpft zu haben…
Später ging es ebenso spannend wie lustig zurück. Als Abendessen erwartete uns dieses Mal Bier und Pizza… ich gebe zu, bezüglich Essen bin und bleibe ich Europäer…
Was mir noch befremdlich ist, jedes Essen wir von einem oft anderen Inder per Roller an unsere Hütte geliefert… okay.
Somit ging heute ein sehr ruhiger und entspannter Tag zu Ende – genau das richtig – die nächsten Tage könnte viel Kraft und Anstrengung kosten – ich bin ja nicht nur zum Spaß nach Indien geflogen.

12.02.2018
Um 7:30 hat der Wecker geklingelt… klingt nicht früh – wenn man aber bedenkt, dass es zuhause genau 3:00 ist, hat man vielleicht etwas Nachsicht mit meinen müden Augen.
Um 8:30 kam Elango (der Mensch, den ich ursprünglich für Balla hielt – und nicht nur ich, aber 10 Jahre sind auch ne lange Zeit ;-)) mit dem Frühstück. Ich will ehrlich sein, dass indisch ist noch nicht so meins, vor allem nicht morgens, mittags und abends – aber ich musste durch und es war nicht schlecht!
Anschließend sind wir zu Fabrik gefahren, Steff bei Elango drauf (ist sicherer) ich bei mir drauf (macht mehr Spaß ;-)). Bei der Fabrik angekommen, waren auf dem Boden wundervolle Bilder mit „Welcome“ geschrieben und die Frauen stand in einer Reihe da und Lächelten herz aller liebst… irgendwie ein unerwartet warmer Empfang in einer Fabrik.
Die ersten Stunden verbrachten wir im Büro, hier kam auch endliche Balla an, der uns darüber aufklärte, dass Elango nicht nur sein großer Bruder, sondern auch sein Chef und damit der Chef der Fabrik war. Aha, hat also der Chef von allen unser Babysitter gespielt und nie ein Wort gesagt – Inder sind schon ein bescheidenes Völkchen.
Nachdem viel über alte und neue Hängematten, Qualität, Transparenz, Teilhabe und Gleichberechtigung gesprochen wurde, durften Steff und ich uns unter die Arbeiterinnen mischen – was Steff geschlechtsbedingt leichter viel… ich habe mich einfach an meiner Kamera festgehalten und gleiches mit schönen Momenten und Stimmungen versucht.
Mittags haben die Frauen ihr Lunch mit uns geteilt, es war eine sehr fröhliche und offene Stimmung zwischen uns und den etwa 20 Damen, die etwa 3-4 Männer, welche ausschließlich an den „Maschinen“ arbeiten, waren nicht zu sehen.
Als die Frauen spitz bekamen, dass ich ein alleinstehender Mann bin, wollten sie mich natürlich direkt verheiraten und hatten auch sofort eine junge Dame in ihren Reihen auserkoren… ich konnte mich retten, obwohl optisch die indischen Frauen schon wunderschöne Geschöpfe sind!
Nach dem Lunch haben wir uns noch die Produktion der Hängematten genauer angesehen – aber dazu in meinen Videoberichten mehr.
Abends sind Steff und ich noch nach Pondicherry… eine brutale Stadt direkt am Meer… nach dem Dschungellärm war dieser Stadt- und Straßenlärm doch nicht wirklich besser. Auf dem Weg zurück sind wir noch beim Italiener eingekehrt… die Inder, bzw. die Aurovillianer können doch hervorragend kochen ;-).
Zum Nachtisch etwas Tiramisu und dann ab ins Bett, morgen wartet wieder ein voller Tag!

13.02.2018
Der Wassertank auf dem Dach war um 8:00 morgens noch nicht erwärmt – also begrüßte ich den neuen Tag mit einer kalten Dusche.
Eine halbe Stunde später stand Elango mit dem Essen auf der Matte – ich muss zugeben, diesmal richtig lecker! Nachdem Essen wieder Kameramaterial geschnappt, mich auf den Roller geschmissen und ab in die Fabrik. Heute wurde begonnen die Hängematte Typ „Beleza“ begonnen.
Nach dem heutigen Tag habe ich das Gefühl, von den Blinden unter die Sehenden gewechselt zu sein – zumindest was Stoffe betrifft. Die Hängematte „Belza“ ist 1,70 Meter Breit und 2,50 Meter lang, bzw. der Stoff der „Beleza“ hat diese Maße. Und was ist ein Stoff? Ein Geflecht aus hunderten und tausenden von kleinen, miteinander verwobenen Fäden. Möchte so ein Stoff noch ein Muster haben, dann sind es nicht wahllos irgendwelche Fäden, sondern jeder einzelne sitzt genau an seinem Ort – nicht durch Zufall, sondern von Menschenhand genau dahin gesetzt!
Und Zeuge dieses Prozesses durfte ich heute werden!
Ein uralter und so freundlicher Inder hat… vergesst es, es ist nicht erklärbar, aber dieser Mann war auf jeden Fall dafür verantwortlich, dass jeder Faden einer 140 Meter langen Fadenschlange genau am richtig Ort saß, jeder einzelne Faden! Diese Fadenschlange wird dann wohl morgen zu einem 1,7 Meter breiten und, wie gesagt, 140 Meter langem Stoff gewebt. Jeder einzelne Faden muss mit dem Webstuhl verknotet werden. Alleine diese Arbeit kostet einen ganzen, indischen Arbeitstag. Heute hat alleine das ordnen der Fäden einen ganzen Tag gedauert – zum Teil waren daran 5 Arbeiter beteiligt… eine unfassbare Logistik, ein unfassbarer Aufwand hinter einer Hängematte, die wir später mit Bio Stempel, fairgehandelt und GOTS zertifiziert in Deutschland kaufen können.
Erste Bilder werde ich bald online stellen, in Ansätzen erklären kann es hoffentlich mein Video, welches sobald wie möglich auf meinen Kanal hochgeladen werden soll.
Mittagessen durften wir heute beim Chef Elango persönlich, seine sehr freundliche Frau hatte für uns lecker indisch gekocht. Den Rest des Tages verbrachte ich bei der Dokumentation der Herstellung des Stoffes.
Am Abend waren Steff und ich so mutig zu behaupten, dass wir alleine nach Hause könnten – also ab auf den Roller, Steff hinten drauf und durch den Dschungel… okay, einmal habe ich mich verfahren, aber ich was sonst sehr stolz auf mich…
Jetzt gibt es gleich Abendessen und dann schnell ins Bett – erstens bin ich wieder etwas angeschlagen, zweiten müssen wir morgen um 5:00 aus den Federn, da wir eine andere Fabrik besuchen werden…

Gute Nacht!

14.02.2018
Also der Wecker um 4:30 klingelte, war ich tatsächlich ausgeschlafen. Ein Wunder, da es jetzt in Deutschland genau 24:00 war – kein Wunder, da ich am Abend zuvor um 21:00 tief und fest eingeschlafen war.
Was ich jetzt noch nicht wusste: es sollte einer meiner anstrengendsten aber auch eindrücklichsten Tage der letzten 33 Jahre werden (ok, meine Geburt war bestimmt auch anstrengend und eindrücklich).
Bereits um 5:00 wurden wir von Vira, unserem Fahrer des ersten Tages abgeholt und zu Mister Elangos Haus gebracht, nach einer (und nicht der letzten) Runde Chai machten wir uns bei einsetzendem Regen auf den Weg ins 200 Kilometer entfernte Salem.
Zwischen durch hielten wir zum „Frühstücken“, da ich mittlerweile aber so „used to“ Indian Style Food and Eating bin, ist das am dritten Tag nur Randnotiz.
Gegen 9:00 kamen wir in der Weberrei an. Anders als die Näherei und Weberei von Mister Elango wird hier die Arbeit von Maschinen gemacht. Ein Großteil der Hängematten besteht aus handgewebten Stoffen, einige Stoffe, wie der besonders leichte aber trotzdem strapazierfähige Stoff für die neuentwickelte Reisehängematte wird aber von Maschinen in Salem gefertigt: das also einer der Gründe unserer Reise nach Salem.
Bei der Ankunft erstmal eine Runde Chai mit dem Chef des Hauses und dann ab in die Fabrik. Ich bin ehrlich, mich hat fast der Schlag getroffen. Nichts zu sehen von den freundlich Lächelnden Inderinnen, nichts zu spüren von der fast schon Meditativen Arbeit des Nähen und Weben: hier gab es nur eines, das Kreischen der Maschinen.
Und zwischen den Maschinen junge und alte Männer, die immer wieder die Maschinen reinigten, reparierten, einstellten, starteten und beendeten… wenige hatten sich Tücher gegen den Staub über den Mund und gegen den Lärm in die Ohren gesteckt.
Auch das ist Produktion einer Hängematte, auch diese Fabrik ist GOTS zertifiziert und was Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Soziale Absicherung und Sicherheitsbestimmung betrifft trotzdem ein Vorreiter vieler vieler Fabriken weltweit – mich hat es nach der Ruhe von Mister Elangos Fabrik trotzdem verstört.
Nach dieser Runde ging es weiter in eine Fabrik, in welcher die Fäden hergestellt werden. Auch hier erstmal eine Runde Chai im Büro mit dem Chef und nettes Austauschen von Worten… was wirklich nett ist. Elango, der von all diesen Firmen und Fabriken seine Stoffe und Fäden bezieht, hat all seine Geschäftspartner mindestens 10 Jahre, manche noch nie gesehen. Zudem hat er sich die Fabriken und deren Arbeit noch nie zeigen lassen – also hat die nächtliche Idee nicht nur Steffs spontanen Antrieb nach Indien gegeben, sondern direkt auch in Indien Auswirkungen auf die Geschäftsbeziehungen von Mister Elango gehabt – ich bin begeistert!
Zurück zum Punkt. Nach dem Chai ging es in die Fadenfabrik. Großes Schild am Anfang: keine Kinderarbeit! Die ganze Stimmung hier war, trotz Maschinen Lärm und schlechter Luft durch rumfliegende Baumwollpartikel, deutlich angenehmer.
Es war schon beeindruckend zu sehen, wie aus einem grossen Haufen von Baumwolle langsam ein Faden gesponnen wurde, der immer dünner und immer fester verdrillt und letztendlich perfekt auf Spulen saß, welche entweder direkt zum Verbraucher oder zur Färberei gesendet wurden.
Doch dazu später mehr. Nach dem Besuch der Spinnerei sollte es nämlich erstmal auf ein Baumwollfeld gehen – bzw. zwischendurch Lunch, da es 14:00 war – aber wie gesagt – i am used to Indian food now…
Also nach Lunch und langer Fahrt sind wir zwischen Palmen mitten im Nirgendwo auf einem riesigen Bauwollfeld gelandet. Alle Erntehelfer waren bereits zuhause, da die Mittagssonne gnadenlos auf den Acker brannte – aber ein hochengagierte Inder zeigte uns voller Inbrunst, wie die Ernte der Baumwollplfanze von statten ging – dieser Stolz in seinen Augen ließ einem die Baumwolle mit ganz anderen Augen sehen. Als dann noch zufällig der Besitzer des Feldes mit seiner Frau auf dem Traktor vorbei fuhr, strahlten drei Paar stolze Augen auf uns ein.
Im Anschluss daran ging es – und noch einigen Kilometern Weg suchen – zur Färberei. Steffs Sorge, die Arbeiter könnten ob der späten Stunde schon Feierabend gemacht haben, bestätigte sich nicht. Ganz im Gegenteil – ein unfassbar großer Betrieb mit über 350 Mitarbeitern im Schichtbetrieb, dass war die Färberei. Hier große Worte zu verlieren ist genau so sinnlos, wie das Weben von Hand zu beschreiben, ihr dürft einfach die Videos abwarten, dass sagt mehr als tausend Worte. Außerdem bin ich gerade verdammt müde – denn jetzt ist es etwa 21:00, wir sitzen wieder im Auto auf dem Weg nach Hause. Nach Prognose des Fahrers werden wir heute nach gegen 01:00 ankommen – wenn man bedenkt, dass wir um 5:00 aus dem Haus gegangen sind, haben wir nun einen 20 Stunden Trip in einem fremden Land hinter uns – ingesamt haben wir dann über 700 Kilometer zurückgelegt und 3 verschiedene Firmen mit noch mehr verschiedenen Standorten und noch mehr verschiedenen Chai Sorten gesehen und probiert… da wir um 8:30 wieder in unserer geliebten Handmade Fabrik sein müssen, versuche ich jetzt ein bisschen im Auto zu schlafen – gar nicht einfach in Indien!

15.02.2018
Okay – Snooze Funktion ist natürlich nicht jedermanns Sache… – also übernimmt Steff das Wecken. Geweckt, geduscht, gefrühstückt und mit Mister Elango in die geliebte Fabrik – fast schon Alltag.
Nachtrag zum gestrigen Tag: es gäbe eigentlich so unendlich viel zum Nachtragen – aber ich kann nicht mehr, Niko Festplatte voll, Schwamm vollgesogen, Ende Gelände… und: der heutige Tag sollte nochmal alles, aber auch wirklich alles, topen!
Begonnen hat alles recht standardmäßig. Standart heißt: Sachen in Mister Elangos Büro ablegen, Kamera packen und Videos drehen.
Hier jetzt ins Detail zu gehen, wäre sinnlos, hier wird es hoffentlich im Laufe der nächsten Wochen die entsprechenden Videos auf meinem Kanal und meinem Blog geben. Spektakulär waren auf jeden Fall die Portraits, die Steff von allem Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen machte… Yeses haben die gelacht, Yeses waren die zum Teil eitel… hätte ich den Bescheidenen Indern gar nicht zugetraut, aber der ein oder andere Mann hat ein frischen Hemd angezogen und sich die Haare fein gekämmt – es war herrlich!
Stark war auch das Gruppenbild: alle auf einen Haufen, wirklich, was ein lustiger und freundlicher Haufen! In Sachen Teamgeist kann man hier niemandem etwas vormachen – aber nicht nur der Teamgeist… das sympathischste für mich schlechthin – dieses freundliche aber herzlich gegenseitige Ausgelache und Mitgelache – ganz ehrlich – Driver Vira hat damit am ersten Tag angefangen und es wird bis zum letzten Tag nicht aufgehört haben!
Mittags wieder am zum Lunch zu Mister Vira nach Hause – eigentlich keine Erwähnung wert, wenn ich nicht unterwegs zwei mutige Schuljungs beim Trampen mit auf meinen Scooter gepackt hätte – Gott waren die Stolz – und deutlich weniger irritiert als ich, als nach etwa 2 Kilometern plötzlich der Roller stehen blieb – Benzin leer.
Die Jungs haben sich einfach die nächste Mitfahrgelegenheit gesucht, Mister Elango hat ganz in ruhe einen Typen an der Ecke angesprochen, spontan hat dieser mich dann zu Mister Elangos Haus gefahren, hat mit dem Mund etwas Benzin abgezapft und dann meinen zurückgelassenen Roller betankt – während ich der Zwischenzeit ein leckeres Mittagessen bei Mister Elango genießen durfte und Steff ein spontanen Schlaf im Bett der Tochter erledigte – Inder sind einfach sooo gastfreundlich. Die Rückfahrt zu meinem liegengebliebenen Roller war auch der Hit: zu dritt auf dem Roller des Chefs durch die Straßen Indiens… an Alle, die nicht wissen, was das bedeutet: stellt euch einfach euren Chef zusammengequetscht auf einem Roller vor – in Indien: kein Problem!
Zurück in der Arbeit erst etwas „Alltag“, bevor es dann besonders wurde.

Wie fang ich an…
Ganz ursprünglich hatte ich mal den Plan, einen Tag und eine Nacht in einer Arbeiterfamilie zu verbringen, um auch etwas von dem „echten“, indischen Leben mitzubekommen. Nachdem meine Gesundheit dann aber eher labil und die indischen Verhältnisse doch sehr Kräfte zehrend waren, nahm ich von dem Plan abstand. Zudem wollte Steff keine Nacht bei den Schlangen alleine bleiben und ich machte mich langsam aber sicher hinter der Kamera besser und Steff zauberte den Mädchen vor der Kamera immer ein Lächeln ab.
Also Plan Änderung: Steff und ich gehen gemeinsam bei einer Arbeiterin nach dem Arbeit und vor der Arbeit mit nach Hause und begleiten sie etwas in ihrem Alltag neben dem Job in der Fabrik.
Heute Abend hatten wir dann das Glück, Priyanka mit in ihr Zuhause zu begleiten. Sie fuhr die vielleicht 7 Kilometer mit dem Fahrrad, während wir mit dem Roller im Feierabendverkehr versuchten zu folgen. Es war eine spannende Fahrt, die wiederum mitten im Dschungel endete. Ihr Zuhause zu beschreiben überforderte meine literarischen Fähigkeiten – auch hier werden wieder Bilder und Videos folgen, welche wiederum nur ein billiger und unzureichender Abzug dessen sein werden, was wir hier mit jeder Faser unseres Körpers, unserer Seele spüren konnten. Ich kann mich ehrlich auch gar nicht an die „Räume“ erinnern, da ich mich nur im Freien bewegt habe. Also wir ankamen, wartete ihre dreijährige Tochter und ihre eigene Oma auf sie – später kam noch der 18 jährige Bruder dazu, sie selbst ist 23 Jahre alt, versorgt mit dem Geld aus der Hängemattenfabrik Oma, Tochter und Bruder, die Eltern sind wohl gestorben, als sie 5 war, ein Ehemann wurde nicht thematisiert.
Ich kann nicht in Worte fassen, was ich für diese Frau empfunden und wie ich mich an diesem Ort gefühlt habe. Es gab so wenige Materiell und soviel Liebe und Wärme! Soviel Stolz, soviel Mut… wie gesagt, wenn Worte meine Sprache wär… allein der 18 jährige Bruder, der immer wieder voller Stolz erwähnte, wie toll doch dieser Ort sei – und er war es auch!!!
Ich war selten an einem Ort, der so durch Liebe und Wärme getragen worden ist – egal wie platt das hier klingen mag.
Die ersten Minuten kam ich mir mit meiner Kamera und meinen Tamil Kenntnissen komplett fehl am Platz vor. Aber als ich ihren Stolz in den Augen sah, wusste ich mehr als jemand zuvor, an dem richtigen Ort zu sein. Neben Wäsche waschen auf Stein und Kochen für Kind und Oma über offenem Feuer auf dem Boden kochte sie uns den besten Chai, serviert mit den süßesten Keksen – in der Zwischenzeit kletterte der kleine Bruder auf die Palme über dem Haus und warf uns unzählige Kokosnüsse herunter, weil er irgendwie mitbekommen haben musste, wie sehr wir diese lieben… wir wollten nur eine Stunde bleiben, es wurden, zwei, es wurden drei daraus – viel zu spät, als es schon längst dunkel war, wollten wir uns auf den unbekannten Weg zurück machen.
Ich glaube unsere Sorge spürte der kleine Bruder – der uns sofort wieder die gesamten 7 Kilometer zurück zur Fabrik brachte, von wo aus wir den Weg, okay, denn Weg mit etwas Mühe im Dunkeln selber fanden…
Ich danke euch vieren so so so sehr für die Offenheit und Liebe dir ihr uns in den drei Stunden entgegengebracht habt – und ich danke dem Tank, dass er kurz zuvor leer gegangen war, als Mister Elango noch in der Nähe war!
Morgen früh um 6:00 machen wir uns wieder auf den Weg zu Priyanka… ich bin sehr gespannt, ob wir ankommen werden und wie es uns ergehen wird… in dem Sinne euch allen,
eine ruhige Nacht

16.02.2018
Geweckte wurde ich gegen 5:30 – ohne snooze, dafür sehr freundlich.
Der gestrige Abend hat mich doch sehr beeindruckt. Am liebsten würde ich meine ganzen Texte nochmal überlesen und ausbessern – aber es sind und waren Momentaufnahme und sollen auch genau das bleiben, selbst wenn ich mich hinterer manchmal selber darüber wunder, was ich aufgeschrieben habe.
Um kurz nach 6:00 haben wir uns auf den Roller geschwungen um zu Priyanka zu fahren. Zum Glück war es schon am Dämmern und die Straßen noch nicht sehr voll, sodass ich den Weg gut finden konnten.
Begrüßt wurden wir sehr freundlich und fröhlich. Bewundernswert, wie es Priyanka schaffte, ihren Alltag so zu machen, als ob wir nicht da wären – und trotzdem uns mit ihrer offenen Art so willkommen zu heißen – ab und zu ein warmer stolzer Blick, dann ein Tässchen Chai.
Als wir ankamen, brannte schon das Feuer auf dem Boden und ein großer Waschzuber wurde erhitzt, mit welchem das Töchterchen gewaschen wurde – da wurde geschrubbt und geputzt – und sich nicht beschwert.
Neben her Frühstück und Vesper für den ganzen Tag kochen – die Kleine ist dann kurz durchs Gebüsch zu den Nachbarn geschlichen, welche eine Kuh haben, und hat frische Milch bekommen.
Es ist so bewundernswert. Das halbe Leben findet auf erdigem Boden statt – auch in der Regenzeit! Und trotzdem: nicht nur die Menschen sind unglaublich sauber, riechen gut und haben die weißesten Zähne – auch ihre Kleider erstrahlen in den prächtigsten Farben.
Der Bruder ist als erster zu Fuß aus dem Haus gegangen, die Oma folgte um noch Blumen für die Haare von Enkel und Urenkel zu besorgen und dann sind wir losgezogen.
Die Tochter (3 Jahre!!!) wurde mit der Oma an der Straße alleine gelassen – sie geht den ganzen Tag auf eine englischsprachige Schule. Indien muss sich unglaublich verändert haben. Laut Steff waren vor 10 Jahren die Straßen voll von Kindern und die Dörfer drohten im Müll zu ersticken – heute sind eigentlich alle Kinder von früh bis spät in der Schule, es ist deutlich weniger Müll zu sehen, dafür umso mehr Menschen, die den ganzen Tag nichts anderes machen, als die Dörfer sauber zu halten.
Mit welcher Liebe Priyanka ihre erdige „Ess- und WohnKüche“ mit einem Palmenwedel fegte und sauber hielt… aber jetzt höre ich auf von ihr zu erzählen und mache im Programm weiter.
Das Programm bedeutet: letzte Aufnahmen der Fertigstellung der Hängematten, letzte Aufnahmen bei der Entwicklung der Reisehängematte… an meinen Worten hört ihr, die Zeit hier nähert sich dem Ende.
Meine Festplatte ist nun weit über 300 GB schwer – Bild, vor allem aber Filmmaterial!
Kennt ihr das Gefühl von früher, wenn ihr in der Schule etwas ganz besonders gefunden oder gemacht habt und dieses voller Stolz mit nach Hause zu den Eltern nehmen wolltet, aber ständig Angst hattet, das ihr es wieder verlieren könntet oder die Achtklässler um die Ecke warten um es euch weg zu nehmen…
so in etwa geht es mir derzeit, wenn ich an meine Festplatte denke… ich habe gerade wirklich Sorge, dass ich diese verlieren oder vergessen könnte, dass mir jemand meinen Rucksack klaut oder das die Daten wegen irgendeinem Fehler zuhause nicht mehr lesbar sind… vielleicht besorge ich mir einfach eine zweite Festplatte also Kopie. Aber die Arbeit von nun einer Woche auf nur einer Festplatte zu lassen wäre wohl naiv.
Der restliche Tag in der Fabrik war für mich fast schon langweilig. Letzte Aufnahmen, fertige Hängematten.. „I am used to it…“ Apropos „used to it“, auch wenn es blöd klingt, mittlerweile liebe ich das indische Essen… glaubst du nicht? Die Wage verrät es 😉 und mein Bauch looks like a Kokosnuss… Apropos Kokosnuss, nach dem Lunch, welches unfassbar lecker war und es wieder in Mister Elangos Haus gab, haben wir uns noch auf den Weg zu einer Fabrik ganz in der Nähe gemacht, in welcher die Seile hergestellt werden.
Auf dem Weg dorthin musste Steff unbedingt am Wegrand halten, um eine frische Kokosnuss zu trinken und dann zu essen… war ja lecker, aber ich war nach dem Lunch so voll… trotzdem, irgendwie eine ganze Kokosnuss alleine geschafft – kaum beim in der kleinen Seilfabrik angekommen, bekommen wir als Willkommensgeschenk; eine frische Kokosnuss… Oh my God… ich bin fast geplatzt – aber Geschenke sind Geschenke, da muss man durch, auch wenn mein Bauch jetzt fast nirgendwo mehr durch passt…
Für mich das spannendste auf dem Weg zur Fabrik – der Weg. Mit dem Roller über indische Autobahnen – ohne Helm mit FlipFlops an den Füssen… so geht das hier!
Am Abend sind Steff und ich dann shoppen gegangen, in Begleitung von Mister Elango, seine Frau (die Schuld an meinen Kokosnussbauch trägt) und seiner Tochter: der Fahrer: Vira… es war ein richtig richtig schöner, familiärer Abend – auch wenn du dies hier nie lesen wirst: vielen vielen Dank, Mister Elango!
Am Abend bin ich glücklich und mit neuen, indischen Kleidern für meine Kinder eingeschlafen – die letzte Nacht in Indien – unfassbar, was man in einer Woche erleben kann!

17.02.2018
Emotionen und Gefühle sind schon etwas merkwürdiges – ein Schauer über den Körper, kribbeln im Nacken, Tränen in den Augen, ein Kloß im Hals… aber dazu später mehr.
Erstmal zum heutigen Vormittag, der sowas von normal verlaufen ist, dass ich die Zeit für eine kurze Anekdote von Steff nutzen will.
Ereignet hat sich diese am 14.02, als wir bis nach Salem und weiter gefahren waren, um die verschiedenen Fabriken der Produktion der Fäden anzuschauen. Ich hatte ja in meinem Bericht so lapidar geschrieben, dass es ständig und überall zu Begrüßung Chai gegeben haben – dass stimmt auch, naja, fast zumindest.
Denn bei dem ersten Zusammentreffen mit der Baumwollfabrik lief alles, dank Steff, etwas anders ab.
Klassisch wäre so: Chef fragt: „You like some Chai (sometimes Chai or Coffee)?“ Steff and Niko: „Thanks, some Chai would be nice“ (Gewohnheitstiere, da wissen wir nämlich, was wir bekommen).
Dieses mal aber: „You like some Chai or cool drink?“ Steff (sehr schnell und übereifrig): „oh cold drink would be nice!“ (Niko schaut sehr verwirrt).
Chef auch etwas verwirrt: „ah, what do you like?“ Steff ganz eifrig „Some Lemon water!“ Fairerweise muss man sagen, in den Restaurants und auch bei Elango gibt es fast immer Lemon Water After – nicht so wohl bei Mister Baumwollfabrik – deutliche Schweißperlen zeichneten sich auf seiner Stirn ab, was nicht an der Ventilatoren geschwängerten Luft liegen konnte. Hastig wurden Worte in sein Handy geschrieben (FunFact: 3 Kabelgebundene Telefone standen neben ihm auf dem Tisch!!!). 5 Minuten später saßen wir alle „glücklich“ mit unserem „cold drink“ in der Hand da… drei Mal kalte Milch mit Rosengeschmack und einmal mit Schokolade!!!
Keine Ahnung ob ihr Großväter hattet, die zu Tisch gebetet haben oder ob an Weihnachten heilige Lieder angestimmt wurden – aber die meisten von euch kennen bestimmt den Moment, wenn eine ganz wichtige, bedeutend schwere und ernsthafte Stimmung herrscht und es euch innerlich vor Lacken zerreißen könnte? Danke, jetzt wisst ihr wie ich mich gefühlt habe, bei einem „wichtigen Geschäftstermin“ mit „wichtigen indischen Männern“ und einer Rosen Milch in der Hand…
…zum Glück habe ich erst später erfahren, dass es Steff in diesem Moment genauso ging – hätte ich nur ein leichtes Beben ihrer Schultern registriert – ich wäre explodiert – und die ganze Geschäftsbeziehung wohl gleich mit… Ende der Anekdote, weiter im Text…
Dieser so aussah, dass Niko gegen Mittag alleine losgeschickt wurde, um ein Abschiedsgeschenk für Mister Elango und seine Frau zu kaufen… wer Niko kennt, weiß, dass er schon überfordert ist mit Geschenken für sich selbst – wie soll es dann bei einem Geschäftsgeschenk in Indien besser sein? Wie dem auch sei – irgendwann fand ich was passendes (so ein KlingKlangKlong Ding im Wind – hoffe damit kann man nichts falsch machen) und fuhr zurück, pünktlich zum Abschiedsessen in der Fabrik.
Dieses sah so aus, dass drei große Töpfe mit bestem, indischen Essen geliefert wurden und alle Mitarbeiter + Mister Elango und seiner Frau gemeinsam in der Fabrik (natürlich auf dem Boden) gemeinsam aßen – ich weiß auch nicht, aber was Herz und Herzlichkeit betraf, hat diese „Fabrik“ alles, aber auch wirklich alles übertroffen!
Das Beste: es war nicht nur das beste, es war auch das schärfste, indische Essen – zumindest für mein in diesem Punkt etwas sensibles Mundwerk… ich glaube nach drei Bissen hatte ich mehr Schweißperlen auf meiner Stirn gesammelt, als Mister Baumwollfabrik im ganzen Jahr – Mund, Nase, Augen – alles lief und brannte – und da Naseputzen nicht wirklich schicklich ist, mussten ich – nein, mussten wir alle dadurch… aber das war gar nicht das Beste, das Beste: die Mädchen bemerkten natürlich meine Situation und schmissen sich köstlich weg – oh Gott war das schön so offen ausgelacht zu werden, wirklich! Natürlich ließen es sich die frechsten von ihnen nicht nehmen, mir nach dem Essen noch die Fangfrage nach der Qualität des Essen zu stellen: „Hmm.. Yummy“, war meine Antwort… „nicht etwas scharf?“ die Gegenfrage…. danke dafür – ihr lieben, man sieht sich immer zweimal im Leben!!!
Nach dem Essen war vor der Geschenke Übergabe – der zweite, fettnäpfchenreiche Programmpunkt an diesem Tag.
Steff hatte für alle Mitarbeiter eine kleine Box mit Süßigkeiten und einer finanziellen Aufmerksamkeit schön hergerichtet und mit einem persönlichen Gruß versehen. Die Übergabe des Geschenkes sollte im Büro von Mister Elango erfolgen, was mehr der Wunsch von ihm und seiner Frau, denn von uns war. Irgendwie war uns das eher etwas steif, aber manche Dinge muss man in fremden Ländern auch hinnehmen.
Für Steff wurde dies ein sehr emotionaler Moment. Die Mitarbeiter waren einem zum Teil doch sehr nah ans Herz gewachsen – die Übergabe war auch sehr unterschiedlich – manche schauten eher verlegen auf den Boden und wollten so schnell wie möglich wieder raus, andere wollten Steffs Hand gar nicht mehr loslassen und dritte wagten sogar eine innige Umarmung.
Für mich war die gesamte Situation eher schwierig, was aber eher meiner Situation der gesamten Woche widerspiegelte. Auf der einen Seite war ich „nur“ Kameramann. Ich war für die Videos und Bilder verantwortlich, hielt mich viel im Hintergrund (vor allem in geschäftlichen Momenten) und hat mit den weiblichen Mitarbeiterinnen meist nur Kontakt, wenn Steff auch in der Nähe war. Genau so war die Situation auch bei der Übergabe der Geschenke. Ich stand im Hintergrund, machte Bilder, war aber nicht „Teil der Geste“.
Wie gesagt, für mich war meine Rolle sehr schwierig, da ich, neben dem außenstehenden „Kameramann“ für mich zu einigen eine sehr innige Beziehung aufgebaut hatte. Allen voran Mister Elango war für mich ein Freund geworden, aber auch zu drei, vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sowie natürlich Priyanka fühlte ich eine starke innere Verbindung, ohne je mehr als drei Sätze am Stück mit ihnen gesprochen zu haben.
Aus diesem Grund war ich in dem Moment über die Übergabesituation und den Abschied eher enttäuscht und traurig. Am liebsten hätte ich die wichtigsten fest in den Arm genommen, hätte ihnen mit Tränen in den Augen meine innere Bewegung und Berührung mitgeteilt und mich vom Grund meines Herzens für all entgegenkommende Wärme und Liebe bedankt.
Ich hatte mich schon der Treppe zum gehen zugewandt als ich mir einen Ruck gab, nochmal umdrehte, mich zu Priyanka setzte, beide Hände in meine beiden Hände nahm und ihr mit meinen drei Tamil Worten und restlichen englischen Worten das sagte, was sie in mir auslöste und vor allem ihrer Familie, der kleinen süßen Tochter, Bruder, Oma und ihr alle Kraft und alles Glück dieser Erde wünschte. Etwas benebelt stand ich wieder auf, wendete mich der Treppe zu, als mich eine andere, dir mir auch „nahe“ Stand, zu sich winkte – hier drehte sich das ganze Spiel um und sie sagte Worte zu mir, die ich vom Inhalt nicht verstand, die aber mich genau da berührten, wo sie es wohl sollten.
Und so kam es, dass ich mich nach und nach allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern persönlich und mit sehr viel Nachdruck und Gefühl verabschieden konnte.
Mein Glück – ich durfte danach alleine zum Haus fahren, da Steff sich noch mit anderen Freunden traf. Und genau da kam alles, wie anfangs beschrieben: – ein Schauer über den Körper, kribbeln im Nacken, Tränen in den Augen, ein Kloß im Hals.
Ich war auf der Fahrt zum Haus einfach dankbar, dankbar über diese Woche Indien und die Begegnungen, die ich erleben durfte – dankbar über mich, dass sich mein Herz gegen mein Verstand durchgesetzt hatte und ich meinem Gefühl der ganz persönlichen Verabschiedung nachgegangen bin und nicht aus falsch verstandener Bescheidenheit oder Scham eine wichtige Situation vermasselt habe.
Zuhause erstmal in der Hängematte alles nachwirken lassen, dann packen, duschen und den ersten Teil dieses Berichts geschrieben…
…später kam noch das Abendessen bei Mister Elangos Familie dazu. Die Frau hatte sich mit leckerem Fisch mal wieder selber übertroffen. Das einzige Strange: in Indien ist es höflich, wenn erst der Gast isst. Also saßen Steff und ich auf dem „Präsentierteller“, mit der rechten Hand Gräten aus dem Mund puhlend, während der Rest der Familie um uns herumstand und fleißig zuschaute – merkwürdige Tradition.
Trotzdem war es unglaublich schön, da Mister Elango sehr sehr lustig und gelöst war, wir unglaublich viel und fröhlich Lachten und Späße machten (ich bin mir sicher, dass ihm die Woche auch gut gefallen hat – trotzdem wird er mit Sicherheit dankbar sein, seinen Babysitterjob mit seinen zwei Deutschen beendet zu haben).
So fuhren wir dann gegen 20:00 zum Flughafen – und hier der erste Wermutstropfen – Vira war nicht unserer Fahrer, da es ihm nicht gut ging – das war wirklich schade. So begann der Abschied einfach früher.
Jetzt sitze ich am Flughafen und bin kurz davor das Flugzeug in eine andere Welt zu betreten. Es ist schon unglaublich, wie schnell sich die Welt in nur einer Woche drehen kann…
…da dies meiner letzter Bericht ist: Danke an alle, die ihn mit Freude begleitet haben – ich hoffe zumindest eine Ahnung von meinen Tagen in Indien vermittelt haben zu können…
…sollte jemand das Bedürfnis eines Kommentars haben – ich freue mich immer von den Lesern zu lesen – in dem Sinne:
Nandri, pola ma?